Drei große Musiker unserer Zeit zeigen, wie wunderbar und vielfältig ihr Instrument ist. Es geht um Bachs große Suiten, die Vorgänger auf der Gambe – und den entzückenden Dank an einen Komponisten.

Leute, die mit dem Rücken an der Wand stehen, aber Zuversicht verbreiten wollen, sagen gern, dass sie auf sich verändernde Lagen jederzeit dynamisch reagieren könnten. Immer, so souffliert diese Formulierung, behält der Betroffene die Regie und die Kontrolle in der Hand, ihm entgleitet nichts, der Kopf wird nie unter Wasser bleiben.

Könnte sein, dass diese Formulierung in den sechs Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach höchst angemessen ist. Niemand gibt dem Cellisten hier Rückendeckung, alles muss er allein stemmen. Die handwerklichen Anforderungen, die Bach stellt, erfordern einen ausgebufften, vielseitigen Virtuosen. Die Ausmaße und Anstrengungen des Zyklus gleichen einer alpinen Passstraße für Radfahrer. Das größte Problem liegt aber anderswo: Von den sechs Suiten gibt es kein Original, keine autografe Handschrift aus Bachs Feder. Man muss die Stücke und ihren Sinn sozusagen selbst auseinanderklamüsern – und jederzeit dynamisch reagieren.

Der französische Cellist Jean-Guihen Queyras hat jetzt – wie die allermeisten seiner berühmten Kollegen vor ihm – Bachs Sixpack auf CD aufgenommen. Man könnte seine Leistung eine kolossale Erfrischung nennen, langweilig wird dem Hörer keine Sekunde. Queyras, der derzeit eine Professur an der Musikhochschule Freiburg innehat, legt den Pädagogen in sich gottlob nicht ab, er ist ein Verführer für die Schönheit dieser Musik. Er gibt aber auch den Verkehrspolizisten, der die Abläufe an Bachs Kreuzungen regelt: Bitte hier noch etwas warten! Achtung, das Hauptthema kehrt zurück, langsam einfädeln! An dieser umsichtigen, souveränen, ebenso emotionalen wie springlebendigen Darstellung des Innenlebens der Musik hat der Hörer größtes Vergnügen.

Queyras‘ Kompetenz für diese Musik entspringt einem unerwarteten Quell: Lange war er Cellist in dem von Pierre Boulez gegründeten Ensemble Intercontemporain. Die Nähe zur Neuen Musik trainiert immer die Reaktionsschnelligkeit, das Interesse an Veränderung, Dialektik, Skepsis. Wer Bach aus moderner Zeit befragt, bekommt immer Antworten. Er muss allerdings die richtigen Fragen stellen.

Queyras‘ Neugier ist das eine, die Gelassenheit von Anja Lechner das andere. Die 1961 in Kassel geborene und in München lebende Cellistin hat wie ihr französischer Kollege viel Zeit auf den verschiedenen Schauplätzen des musikalischen Lebens verbracht. Sie hat improvisiert, hat mit dem Bandoneon-Virtuosen Dino Saluzzi duettiert, hat Neues uraufgeführt (darunter Kompositionen von Arvo Pärt) und ihre Fühler überhaupt in alle klanglichen und stilistischen Richtungen ausgestreckt. Davon profitiert ihre neue CD beim Label ECM Records beträchtlich. Lechner betrachtet das Cello nämlich aus der Perspektive seines Vorgängerinstruments, der Gambe – und sie integriert in ihre Deutung zweier Bach-Suiten (G-Dur und d-Moll) auch Kompositionen von Tobias Hume und Carl Friedrich Abel.

Jener lebte von 1579 bis 1645 und war ein schottischer Tausendsassa. Als Söldner diente er in den verschiedensten Armeen, doch daheim verhielt er sich behutsam, indem er Gambe spielte. Seine Kompositionen haben allerdings etwas Schweifendes, Vagierendes. Sie verlassen die Wege wie neugierige Hunde, ändern ihren Rhythmus und geraten unversehens in den Bereich der Programmmusik. Abel dagegen, der von 1723 bis 1787 lebte, war der letzte Gambenvirtuose des 18. Jahrhunderts, ein Könner vor dem Herrn, der als Kind den großen Bach vermutlich noch in Leipzig kennengelernt hatte.

 

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