Der kanadische Cellist legt seine zweite Aufnahme der Bach-Suiten vor – persönlich und mit stupender Technik.
Schuberts “Winterreise”, Beethovens Symphonien, Wagners “Ring des Nibelungen”: Wer im jeweiligen Genre etwas auf sich hält, macht sich irgendwann an eine Gesamt-Einspielung. Und manche haben davon nicht genug: Dietrich Fischer-Dieskau zum Beispiel hat die Winterreise siebenmal auf Tonträger gebannt. So gibt es denn auch von einigen Cellist:innen wie Yo Yo Ma, Ophelie Gaillard, Pieter Wispelwey oder Janos Starker gleich zwei, ja von manchen gar drei Aufnahmen der sechs Suiten von J. S. Bach.
Der in Montreal geborene Jean-Guihen Queyras hat den Zyklus anno 2007 im Alter von 40 Jahren zum ersten Mal vorgelegt. Queyras begann seine Laufbahn bei Pierre Boulez’ Ensemble Intercontemporain. Längst einer der gefragtesten Cellisten weltweit, hat er nicht nur die wichtigsten Konzerte und Kammermusikwerke für sein Instrument im Repertoire, sondern auch einige Stil-übergreifende Projekte unternommen.
Queyras’ zweite Gesamtaufnahme – am 20. September veröffentlicht – wurde zu nicht unerheblichem Maße von einer Produktion angeregt, die ihn gewissermaßen vom Solisten zum Kammermusiker machte: Durch ein weltweit aufgeführtes Tanzstück in der Choreographie von Anne-Teresa de Keersmaeker begab sich Queyras in Austausch mit den Mitgliedern von de Keermaekers berühmte Kompagnie Rosas. Faszinierend sei für ihn unter anderem das Aufeinandertreffen der barocken Tänze, aus denen die Suiten gebaut sind, mit der zeitgenössischen Umsetzung der Tanzenden. Dieses Programm namens “Mitten wir im Leben sind” wurde bereits 2018 geboren. Nach über 100 Aufführungen machte sich Queyras schließlich im Jahr 2023 an die Aufnahme der Suiten.
Hier öffnet sich nun ein Füllhorn an klanglicher Vielfalt sondergleichen. Stupende Technik, das Wissen um historische Aufführungspraxis ebenso wie die langjährige Tätigkeit im Bereich Neuer Musik ergeben eine sehr persönliche, aber nie manierierte, immer bescheidene, und einfach fulminante Interpretation. Die überragende Qualität lässt sich vielleicht mit einem Pressezitat der kanadischen Tageszeitung “Le Devoir” zusammenfassen: “Voix de la liberté”.