Das Münchener Kammerorchester beschließt seine Saison mit einem Werk von Tristan Murail

Mit der deutschen Erstaufführung des Violoncellokonzerts von Tristan Murail ist dem Münchener Kammerorchester, das dieses Werk mit in Auftrag gab, ein echter Coup gelungen. Der 1947 geborene Franzose, der lange in New York lehrte, zieht hier eine Summe seiner bisherigen Arbeit. Der Titel „De Pays de d‘Hommes Étranges“ bezieht sich auf „Von fremden Ländern und Menschen“ aus den „Kinderszenen“ von Robert Schumann und stellt das umfangreiche Werk somit in einen Kontext, der dem Hörer schon bei der ersten Begegnung Orientierung ermöglicht – wohlgemerkt ohne Schumanns Musik wahrnehmbar zu zitieren.

Ab den in hoher Lage einsetzenden Gesängen des Solo-Cellos, das Jean-Guihen Queyras spielt, als ob er mit dem neuen Stück aufgewachsen sei, entspinnt sich im Prinzregententheater eine instrumentale Erzählung mit Sogwirkung. Immer wieder setzt der Solist zu expressiven Aufschwüngen an, die von aufbrausenden Gesten des Kammerorchesters noch verstärkt werden.

Hellwach und durchstürmt

Das Material selbst, die durch Vierteltöne zum Schimmern gebrachten Regenbogenklänge, die Anblasgeräusche der Holzbläser, überhaupt die hohe Beredsamkeit, sind aus dem sogenannten „Spektralismus“ bekannt. Murail, einer der Hauptvertreter dieser kompositorischen Richtung, ordnet sie überlegen sinnvoll an, sodass die Aufnahmefähigkeit eines interessierten Publikums gefordert, aber nicht überfordert wird. Das ist vielleicht ein Meisterwerk.

Aufs Schönste mischt sich der drahtige Ton des französischen Cellisten Queyras mit dem Münchener Kammerorchester, das von seinem Chefdirigenten Clemens Schuldt in jeder Sekunde zur hellwachen Kommunikation angehalten wird. Die einzelnen Episoden werden so aussagekräftig geschärft, dass hier der seltene Fall einer gleichzeitig komplexen wie sofort zugänglichen Neuen Musik vorliegt.

Perfekt wäre es gewesen, wenn diese Klangphantasie dann auch noch auf Schumanns Symphonie Nr. 1 B-Dur „Frühling“ ausgestrahlt hätte, die, wie gehabt, historisierend angehaucht und allzu brutal durchstürmt wird. Dafür bringt der erste Teil mit dem Zyklus „The Seasons“ („Die Jahreszeiten“) des jungen John Cage eine weitere, exzellent einstudierte Entdeckung: einen Bilderreigen, auf so ungewohnte und lustvoll subversive Weise gegenständlich, als ob in einem abstrakten Gemälde auf einmal eine Reihe lustiger, lyrischer und bedrohlicher Theaterfiguren auftreten würden.

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