Marc-André Hamelin und Jean-Guihen Queyras in der Stadthalle – Musikalische Seelenverwandte

Heidelberg. Zu den spannendsten Begegnungen des diesjährigen Heidelberger Frühling zählten die mehrfachen Auftritte des kanadischen Pianisten Marc-André Hamelin. Vor einer Woche begann er, nach einem spannenden Vormittag mit Schülern der Freien Waldorfschule in Wieblingen, mit einem Nachtkonzert im Frauenbad, bei dem, umringt vom aufmerksamen Publikum, nur zwei Werke auf dem Programm standen: Karlheinz Stockhausens “Klavierstück IX” und Franz Schuberts letzte große Sonate in B-Dur.

Nahtlos und nicht von Applaus unterbrochen ließ er die beiden Stücke ineinander übergehen – der Effekt war grandios und sorgte für Gänsehaut. Die zarten Klanginseln des frühen Avantgardisten spiegelten sich im nun höchst modern erscheinenden Kopfsatz der romantischen Sonate, die hämmernden Eröffnungsakkorde Stockhausens in den überirdisch sanften Harmonien des langsamen Satzes bei Schubert. Bei solchen Momenten geht der Musikfreund auf die Knie. Beim “Frühling” gibt es sie immer wieder.

Hamelin ist Perfektionist. Seine über alle Maßen nuancierte Anschlagskunst bot unvergessliche Momente bis kurz vor Mitternacht. Dabei schien die ebenmäßige Gleichmäßigkeit der Töne, wenn sie sich in einer Skala aneinanderreihen, nicht mehr seine erste Priorität zu sein. Der poetische Augenblick, so dachte man im Laufe dieses ebenso intimen wie grandiosen Late Night Events, das ist die subtile Abweichung, die nuancierte Unregelmäßigkeit, die nur mit äußerstem Feinsinn wahrnehmbare Verzögerung.

Man konnte das bei Marc-André Hamelin oft beobachten, auch in der monumentalen “Concord-Sonate” von Charles Ives, die Hamelin am Nachmittag in der Stadthalle spielte, oder bei Morton Feldmans 90-minütigem “Piano and String Quartet”, einem ebenfalls als Betthupferl gebotenen Auftritt am späten Abend (wir berichteten). Nimmermüde auch war der Pianist auch bei Joseph Haydn, einem Beitrag zum Vortrag von Prof. Inga Mai Groote.

Der Höhepunkt von Hamelins “Frühlings”-Auftritten war allerdings eine Weltpremiere in der Heidelberger Stadthalle: Das Duo-Konzert zusammen mit dem ebenfalls aus Kanada stammenden Cellisten Jean-Guihen Queyras am Sonntagvormittag. Die Idee, diese beiden Musiker zusammenzubringen, entstand in Heidelberg – und es war eine musikalische Liebe auf den ersten Ton. Die Brahms-Sonate e-Moll op.38 und die g-Moll-Sonate op. 19 von Sergej Rachmaninow rahmten bei der Matinee ein eigenes Stück von Marc-André Hamelin ein, und diese “Four Perspectives” von 2016 hinterließen einen tiefen Eindruck.

Es ist nun nicht ohne Risiko, wenn zwei derart auf Differenzierung und Nuancierung des Tons spezialisierte Musiker sich zusammentun, denn die Frage, ob sie die gleiche Vorstellung von jedem Detail der Komposition haben, schwebt wie ein Damokles-Schwert über der Zusammenarbeit. Und wer entscheidet, wenn unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen?

Queyras und Hamelin, so schien es, haben sich gesucht und gefunden, ihre Musikerseelen vereinten sich scheinbar intuitiv im Gleichklang. Dabei erschienen auch Brahms und Rachmaninow durchaus als Seelenverwandte. Die beiden Interpreten reizten dabei weniger die Extreme aus und behielten auch in der furiosen Fuge des Brahms-Finales oder im flinken Scherzo des Russen die intellektuelle Oberhand. Hier wurde nie aus dem Bauch heraus gespielt, auch kein Show-Duell gefochten: Queyras/Hamelin, das ist ein Duo auf Augenhöhe, von dem man hofft, dass die erste Begegnung eine Initialzündung für weitere Zusammenarbeit ist. Eine Initialzündung, die in Heidelberg ihre Wurzeln hat.

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