Jean-Guihen Queyras mit der deutschen Erstaufführung des neuen Cellokonzertes von Tristan Murail in München.
Ein hoher Ton ganz oben auf dem Griffbrett des Violoncellos, im Reich des ewigen Schnees, wie die Cellisten jene Regionen der hohen Lagen so ironisch wie respektvoll nennen. Der hohe Ton schwebt gewissermaßen über den kleinräumigen Orchesterbewegungen ein, die zart und doch geräuschvoll jene Klangfläche bieten, über der das Cello erscheint. Dann stürzt sich der Solist hinab bis in die Tiefen der C-Saite, um sogleich wieder in weiten Schritten aufzusteigen.
In der Realisierung seines Werkes verschwindet der Komponist als leibhaftige Person
Diese Erzählfigur des großen Auf und Ab misst den Klangraum aus und charakterisiert das neue Cellokonzert von Tristan Murail, das an Robert Schumanns « Kinderszenen » anknüpft: « De Pays et d’Hommes Étranges », « Von fremden Ländern und Menschen ». Es ist ein Auftragswerk unter anderem des Münchner Kammerorchesters (MKO). Das Orchester gestaltet im Münchner Prinzregententheater unter Leitung von Clemens Schuldt die Klangraumabenteuer, die der grandiose Cellomeister Jean-Guihen Queyras erlebt, vielfältig mit. Die Spanne der cellistischen Exaltationen reicht vom leisen Auf- und Niedergleiten bis zu herben, ja, zornigen Ausbrüchen. Die Mikrointervalle des Obertonspektrums reiben sich reizvoll an den orchestralen Fragen und Antworten, auf die Queyras mit immer neuen sich auf und ab bewegenden « Erzählungen » reagiert. Die Souveränität seiner Darstellung und die physische Präsenz dieses Virtuosen im wahren Sinne des Wortes, schlagen Musiker wie Publikum in Bann, das Queyras enthusiastisch feiert. Dann kommt der befremdende Moment, dass Schuldt und Queyras fordernd ins Publikum winken. Wenig später betritt der Komponist Tristan Murail die Bühne, fast linkisch verbeugt er sich, als ob er nicht recht dazu gehöre. Das hat etwas Wahres, denn in der Realisierung seiner Komposition verschwindet der Urheber als leibhaftige Person. Zwar bemühen sich alle, Murail mit zu feiern, aber es kann natürlich nur Jean-Guihen Queyras mit dem Prelude der ersten Bach-Solosuite dem brausenden Beifall entsprechend danken.
Zuvor hatte das MKO unter seinem agilen Chefdirigenten Clemens Schuldt John Cages neunteilige Ballettmusik « The Seasons » von 1947 sorgsam dargestellt. Es war Cages erstes Stück für Orchester, ein Reigen sanft verhaltener « Natur »-Musik von der Ruhe des Winters bis zur fatalistisch genommenen Zerstörung des Herbstes, bevor der Zyklus von Neuem anfängt. Am Schluss eine feurige Aufführung von Schumanns erster, der « Frühlings »-Symphonie. Das geriet manchmal in den Akzenten etwas prall, und manchmal widerstand Schuldt nicht ganz der Neigung zum Treiben. Doch insgesamt gelang es, Schumanns so raffiniert kalkulierten Schwung und seine klangpoetische Begeisterung in diesem wahrhaft jungen Werk mitreißend zu verwirklichen.